Zurück von einer längeren Dienstreise nach Australien spricht der DAAD-Vizepräsident Professor Joybrato Mukherjee im Interview über die Beziehungen zwischen dem Land und dem DAAD, seine Eindrücke von Begegnungen mit Alumni und Stipendiaten sowie über Chancen und Perspektiven des Austauschs. Mit der australischen Wissenschaftslandschaft ist Mukherjee nicht zuletzt auch durch sein Amt als Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen besonders verbunden.
Herr Professor Mukherjee, wie werden Ihrer Einschätzung nach aktuell die Beziehungen zwischen Australien und dem DAAD geprägt?
Ein wesentlicher Punkt ist das seit einiger Zeit bestehende Abkommen mit der „Group of Eight“. Das ist eine Gruppe von acht Universitäten, die sich selbst als die forschungsstärksten Hochschulen Australiens sehen. Ein ähnliches Abkommen gibt es zwischen dem DAAD und dem Australian Network of Technology Universities, dem ATN. Gemeinsam mit der Group of Eight und dem ATN ko-finanziert der DAAD Programme des Projektbezogenen Personenaustauschs. Diese Abkommen zeigen, wie sehr australische Universitäten daran interessiert sind, mit Deutschland wissenschaftlich zusammenzuarbeiten. Natürlich spielt Asien, und hier insbesondere China, nach wie vor eine sehr wichtige Rolle für Australien. Aber ich denke auch, dass es kein Zufall ist, dass ich auf Wunsch der Gastgeber in Canberra, Melbourne und Sydney besonders auf die deutsche Exzellenzinitiative eingegangen bin sowie auf den gesamten Differenzierungsprozess der Hochschulen in Deutschland seit den 1990er-Jahren. Das alles wird in Australien sehr wohl registriert, weil man dort in vielerlei Hinsicht ähnliche Diskussionen führt. Das australische Hochschulsystem ist finanziell durchaus unter Druck; die Abhängigkeit von privat eingeworbenen Mitteln und anderen Drittmitteln ist noch einmal deutlich höher als in Deutschland. Man ist daran interessiert, wie sich das deutsche Hochschulsystem finanziert und wie Kooperationen und Wettbewerb zwischen Hochschulen gestaltet werden können.
Sie hielten während Ihrer Reise auch Vorträge an der Macquarie University in Sydney, mit der die von Ihnen geleitete Justus-Liebig-Universität Gießen seit 1999 durch ein Austauschabkommen verbunden ist.
An der Macquarie University habe ich zwei Vorträge gehalten. Einmal zu unserer Gießener Exzellenz-Graduiertenschule „International Graduate Centre for the Study of Culture“, in der ich auch einer der Principal Investigators bin. Die Doktorandenausbildung spielt an der Macquarie University eine große Rolle und man nimmt sehr genau wahr, dass sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren gerade durch die Exzellenzinitiative und im Bereich der Graduiertenschulen schon vieles getan hat, nicht zuletzt in den Geisteswissenschaften. Auch vor diesem Hintergrund wird versucht, sehr gute deutsche Doktoranden für eine gemeinsame Betreuung an der Macquarie University zu gewinnen. Mit der Monash University in Melbourne haben wir mit der Justus-Liebig-Universität zudem aktuell bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft das erste deutsch-australische Graduiertenkolleg beantragt. Es soll sich mit Krankheitsbildern in der männlichen Spermatogenese befassen.
Mit meinem anderen Vortrag habe ich in Sydney einmal ganz grundsätzlich den DAAD und sein Programm-Portfolio vorgestellt. Es ist tatsächlich so, dass es nur wenige Menschen gibt, die sozusagen das gesamte Programm-Portfolio überhaupt überblicken. Dass mich Jörn Hausner, der neue Leiter des DAAD Information Centre Sydney, bei meinen Terminen in Sydney, Canberra und Melbourne begleitet hat, war ebenfalls hilfreich, um die Arbeit des DAAD vorzustellen.
Alan Gilbert Building der University of Melbourne: Positiv überrascht vom „Melbourner Modell“ © Donaldytong
Was kann die deutsche Wissenschaftslandschaft von Australien lernen?
Was ich in Australien mit Interesse beobachte ist, dass etwa Vice Chancellors mit ihren Lenkungsgremien durchaus ganz neue Ideen und neue Konstrukte in sehr kurzer Zeit umsetzen. Gerade im Licht der Erfahrungen mit der Bologna-Reform in Deutschland bin ich zum Beispiel positiv überrascht vom sogenannten Melbourner Modell: Die University of Melbourne hat die Zahl ihrer Bachelor-Programme auf ein halbes Dutzend reduziert. Das heißt, es gibt für die gesamte Universität mit rund 40.000 Studierenden nur noch sechs Bachelor-Programme, in denen es einen Wahlpflichtbereich gibt, den man weitgehend selbständig ausfüllen kann. Da sind insbesondere die Fremdsprachen sehr beliebt. Darauf setzen überhaupt erst spezialisierte Masterprogramme auf. Ich finde es couragiert, das so systematisch und stringent umzusetzen. Und das ist nur ein Beispiel, um zu zeigen, dass in Australien eine außerordentliche Dynamik an den einzelnen Hochschulen herrscht. Wenn man von einem bestimmten Weg überzeugt ist, dann geht man ihn auch und setzt das relativ kurzfristig um. Das ist im übrigen auch für unser deutsches System eine große Chance. Man ist an den australischen Universitäten bereit, auch kurzfristig Ressourcen in die Hand zu nehmen, um Kooperationen mit deutschen Hochschulen zu ermöglichen.
Während Ihrer Australien-Reise haben Sie auch zahlreiche DAAD-Alumni und -Stipendiaten getroffen, etwa bei einem Alumni-Empfang am Asia Institute der University of Melbourne. Welche Eindrücke nehmen Sie von den Begegnungen mit?
Besonders beeindruckt mich etwas, das ich in meinem ersten Jahr als DAAD-Vizepräsident an ganz verschiedenen Orten weltweit erlebe, nämlich, wie stark die DAAD-Netzwerke sind, wie viele Personen sich aufgrund der DAAD-Förderung dem DAAD und auch Deutschland verbunden fühlen. Das ist meines Erachtens eines unserer größten Pfunde, mit denen wir wuchern können: Dieses Netzwerk zu haben an Alumni, Freunden, vielleicht auch an potenziellen Förderern. Der DAAD wird in Australien sehr positiv wahrgenommen.
Was ist Ihrer Meinung nach entscheidend für diese positive Wahrnehmung?
Das Mission Statement des DAAD sorgt immer wieder für Respekt und Hochachtung: Dass wir ganz bewusst nicht auf einen „brain drain“ setzen, sondern stattdessen ganz grundsätzlich Mobilität und Austausch organisieren – in beide Richtungen. Zugleich beeindruckt immer wieder, und das habe ich jetzt auch in Australien gesehen, dass wir beim DAAD, in Zahlen ausgedrückt, mehr Menschen fördern, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, als Deutsche, die ins Ausland gehen. Allein diese Tatsache sorgt regelmäßig im positiven Sinn für Verblüffung. Auch sie zeigt, dass wir es ernst meinen mit unserem Mission Statement, Mobilität in beide Richtungen zu organisieren. Das ist eine Erfolgsgeschichte des DAAD, die nicht nur weltweit, sondern insbesondere auch in Australien wahrgenommen wird.
Autor: Johannes Göbel, Veröffentlichungsdatum: 05.10.2012